Blutkrankheiten, Labor


Krankheiten des Blutes (Hämatologie)

Gerinnungsstörungen

Vor rund 100 Jahren wurde erkannt, dass die Blutgerinnung durch ein Eiweiß im Blut hervorgerufen wird, welches dort in seiner Vorstufe, dem Prothrombin, vorliegt. Dieses wird, ausgelöst durch die sogenannte Gerinnungskaskade, zu Thrombin umgewandelt, welches wiederum eine weitere flüssige Vorstufe, das Fibrinogen, zu Fibrin ausfällen lässt.

 

Jede Gefäßverletzung (extravaskuläres System) oder Endothelverletzung (intravaskuläres System) setzt eine Gerinnungskaskade in Gang.

 

Ein unkontrolliertes Ausströmen des Blutes wird verhindert und ein dauerhafter Verschluss der Wunde wird möglich: entweder es kommt zur Heilung oder zur Defektheilung.

 

Verschiedene Substanzen behindern oder verhindern die Gerinnung:

  • Natriumzitrat, Natriumoxalat, Natrium-EDTA: entzieht dem Blut Ca-Ionen durch Chelatebildung und verhindert damit die Gerinnung. Blut wird so direkt nach der Abnahme für das Labor ungerinnbar gemacht. („EDTA-Röhrchen“). Diese Stoffe werden nur „in vitro“ verwendet.

 

  • Cumarin: Dieser Vitamin K-Antagonist behindert die Gerinnungskaskade. Vorkommen: Macumar, Dicumarol, Phenoprocoumon. Cumarin und seine Derivate werden als Gerinnungshemmer eingesetzt, z. B. nach Bein- oder Beckenthrombose, Herzinfarkt oder Schlaganfall, nach Operationen. Anwendung „in vivo“. Die Einnahme, insbesondere Dauereinnahme, muss streng überwacht werden, um unbeherrschbare Blutungen zu vermeiden.

 

  • Heparin: Der Körper produziert selbst Heparin, unter anderem in den Basophilen Granulozyten. Es blockiert bestimmte Schritte der intravaskulären Gerinnungskaskade. Heparin wird insbesondere zur Thromboseprophylaxe eingesetzt. Heparin wird gerne zur Selbstbehandlung in den Oberschenkel gespritzt.

 

  • Acetylsalicylsäure (ASS): Verlangsamt die Gerinnungskaskade von eigentlich 3 auf bis zu 12 Minuten. Anwendung: prophylaktisch oder zur Rückfallprophylaxe bei Herzinfarkt, Schlaganfall, Thrombosen in Form von Tabletten (Aspirin).

 

 

Fibrinolyse (Gerinnselauflösung) und Thrombolyse (Blutpfropfauflösung)

Die permanent ablaufende endogene Gerinnung muss auch permanent wieder aufgelöst werden, ebenso Thromben, die sich in Gefäßen oder an Gefäßwänden gebildet haben.

 

Therapeutische Anwendungen:

  • Urokinase (aus Harn gewonnen) und
  • Streptokinase (aus Streptokokkenkulturen gewonnen)

Das sind Hemmstoffe, die zur Beschleunigung der Fibrinolyse und Thrombolyse eingesetzt werden. Durch sie wird Plasmin das Enzym aktiviert, welches Fibrin, das Endprodukt der Blutgerinnung, aufspaltet.

 

 

Mangel an Hemmstoffen:

Bei einem Mangel an Hemmstoffen besteht erhöhte Thromboseneigung mit folgenden Erscheinungen:

  • Thrombophlebitis: Entzündung der oberflächlichen Venen, meist in den Beinen. Häufigste  Ursache für Varizen = Krampfadern.
  • Phlebothrombose: Tiefe Venenthrombose mit der Gefahr der Lungenembolie
  • Thrombosen: Vollständiger oder teilweiser Verschluss von Arterien und Venen sowie der Herzhöhlen durch intravasale Blutgerinnung mit Bildung von Blutkoageln aus Thrombozytenaggregaten und Fibrin.
 

Mangel an Gerinnungsfaktoren:

Man unterscheidet

  • Hämorrhagische Diathese = erhöhte Blutungsneigung, die unterschiedlich ausgeprägt sein kann:
    • gehäuft auftretende  Hämatome = Blutergüsse (blaue Flecke)
    • Neigung zu häufigem Nasenbluten
    • tödliche Blutungen ohne äußeren Anlass
  • Koagulopathien = Funktionsstörungen des Gerinnungssystems:
    • Verbrauch von großen Mengen an Gerinnungsfaktoren durch multiple Verletzungen
    • Hämophilie

 

Hämophilie

Definition:

Die Hämophilie ist eine angeborene, vererbbare Krankheit, bei der auf Grund eines genetischen Defekts ein Gerinnungsfaktor fehlt.

 

Ursachen:

  • Hämophilie A: Fehlen des Faktors VIII
  • Hämophilie B: Fehlen des Faktors IX (Christmas disease)
  • Kombinationen aus A und B

 

Symptome:

Blutungen sind kaum oder gar nicht stillbar. Gefahr nach Verletzungen (z. B. Unfall) oder Sprüngen (Blutergelenk).

 

Therapie:

Substitution des fehlenden Gerinnungsfaktors

 

Komplikationen:

Ansteckungsgefahr durch Blutkonserven, Blutergelenke mit Deformierungen, Knorpelzerstörung, Versteifung

 

Differentialdiagnose:

Der Mangel an Gerinnungsstoffen kann eindeutig labortechnisch festgestellt werden. Oft liegt die Krankheit in der Familie vor und ist daher bekannt. Frauen erkranken in der Regel nicht, übertragen aber das Merkmal = Konduktorin.

 

Erbkrankheiten haben teilweise verheerende Wirkungen bei Inzucht, wie sie im weiteren Sinne in Königshäusern häufiger vorkommt.

 

 

Verschiedene Untersuchungsmethoden

Kleines Labor

 

Blutungszeit:

Zur Bestimmung der Blutungszeit wird ein Verletzung an der Fingerbeere oder am Ohrläppchen durchgeführt und festgestellt, wie viel Zeit bis zur Gerinnung verläuft. Normal: 3 Minuten ohne Gerinnungshemmer, bis zu 12 Minuten mit Gerinnungshemmern (ASS). Das Messverfahren ist einfach, aber auch ungenau.

 

Quick-Test:

Das Blut wird mit gerinnungshemmenden Substanzen gemischt und anschließend die Gerinnungsaktivität festgestellt. Normal: 70 bis 120% ohne Gerinnungshemmer, 15 bis 25% mit Gerinnungshemmern.

 

Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit (BKS = BSG):

Ungerinnbar gemachtes Blut wird in ein Röhrchen hochgezogen. Die festen Bestandteile des Blutes sinken ab, Serum steigt nach oben. Abgelesen wird die Senkung nach einer und nach 2 Stunden.

Sprich: „BSG: 5 zu 15“.

  • Beschleunigte BSG: Infektionskrankheiten, Entzündungen, Tumoren
  • Verlangsamte BSG: Polyzythämie, Polyglobulie, Medikamente die als Senkungsblocker wirken (ASS, Cortison)

 

Blutbild:

Die Bestimmung der Anzahl und Form der Blutzellen. Es wird unterschieden:

  • Blutbild = Kleines Blutbild: Bestimmung von Erys, Leukos, Hämatokrit, BSG
  • Differentialblutbild = Differenzierung der Leukozyten
  • Großes Blutbild zusätzlich mit Elektrophorese, Verformungen, krankhaften Zellformen, Verschiebungen, Zustandsbestimmung der Erythrozyten. Weiterhin je nach Bedarf: Harnsäure, Rheumafaktor, Hormone etc.

 

Normalwerte:

Erythrozyten

4,5 bis 5,5 Millionen

pro ml = mm3

Leukozyten

4.000 bis 10.000

pro ml = mm3

Thrombozyten

150.000 bis 400.000

pro ml = mm3

Neutrophile Granulozyten

60 bis 70

%

Eosinophile Granulozyten

2 bis 3

%

Basophile Granulozyten

0 bis 1

%

Lymphozyten

20 bis 30

%

Monozyten

4 bis 5

%

 

Männer

Frauen

Hämoglobin = Hb (Blutfarbstoff)

14 - 18 g/dl

12 - 16 g/dl

Hämatokrit = Hk

(Anteil der zellulären Bestandteile im Blut)

52%

47%

BKS = BSG

3-8 zu 5-18 mm

6-11 zu 6-20mm

 

 

Krankheiten der roten Reihe

Anämie = „Blutleere“

Definition:

Mangel an

·         Erythrozyten

·         Hämoglobin

·         Erythrozyten und Hämoglobin.

Größe, Farbe und Form der Erythrozyten können dabei verändert sein.

 

2,5 Millionen Erythrozyten werden im Knochenmark eines Erwachsenen pro Sekunde gebildet. Bei der Anämie kommt es zu einer

  • Bildungsstörung oder zu einem
  • vermehrten Untergang

von Erythrozyten.

 

Ursachen:

  • Mangel an Aufbaustoffen: Eisen, Vitamin B12, Folsäure, Eiweiß
  • Vermehrter Abbau
  • Blutverlust, insbesondere chronischer Blutverlust; z. B. beim Vorliegen einer Magen- oder Darmblutung
  • Störung der Blutbildung
  • Nierenschädigung mit mangelnder Produktion von Erythropoetin
  • Durch Ursachen außerhalb des Blutes wie Vergiftungen, Krebs, Tuberkulose, chronische Infekte

 

Die wichtigsten Ursachen sind der Eisenmangel, der Vitamin B12-Mangel und chronischer Blutverlust.

 

Eingeteilt werden die Anämien

  • nach dem Hämoglobingehalt der Erythrozyten:

o        Hypochrome Anämie bei Eisenmangel

o        Hyperchrome Anämie  bei Vitamin B12-Mangel

o        Normochrome Anämie bei Blutungen

  • nach ihrem Verlauf

o        Akute Anämie bei plötzlichem oder langsamem Blutverlust innerlich oder äußerlich

o        Chronische Anämie bei allen übrigen Ursachen, wenn sie über längere Zeit bestehen

 

Symptome:

Chronische Blässe, Müdigkeit, Atemnot, Schwindelgefühl, Kältegefühl und Konzentrationsstörungen sind Zeichen der Anämie und teilweise indirekt auch des Sauerstoffmangels, der damit im Gewebe einhergeht.

 

Therapie:

Stets muss die Ursache gefunden und therapiert werden. Beispiel: Eisenmangel mag zwar eine Ursache sein, hat aber seinerseits eine Ursache die aufzuspüren ist, da die Substitution von Eisen alleine keine Heilung verspricht.

 

Komplikationen:

Tachykardie, schwere Atemnot, Ohnmachtneigung.

 

Differentialdiagnose:

Typische Symptome können leicht fehldiagnostiziert werden, wenn man nicht an eine Anämie denkt. Ein pathologisches Blutbild ist stets beweisend. Schleimhautblässe ist, im Gegensatz zur Hautblässe, ein sicheres Zeichen für eine Anämie.

 

Hämolytische Anämie

Definition:

Die Lebenszeit der Erythrozyten ist drastisch eingeschränkt.

 

Ursachen:

Verbrennungen, Herzklappenersatz, Malaria, Arsen, Autoantikörper etc.

 

Symptome:

Die beschleunigte Abbaurate führt zu erheblichem Anfall von Bilirubin:

  • Hämolytischer Ikterus.
  • Milzschwellung
  • ggf. Fieber, da sich das Immunsystem gegen die Abbauprodukte wendet

 

Therapie:

Ursache behandeln sofern möglich. Meist Cortisongaben.

 

Differentialdiagnose:

Labor: Blutbild, Bilirubin

 

 

Aplastische Anämie

Definition:

Verminderung des blutbildenden Knochenmarks.

Die Stammzellen sind nicht in der Lage, eine regelrechte Blutbildung hervorzubringen.

 

Ursachen:

  • Häufigste Ursache sind Medikamente: Chemotherapie, Antibiotika, Schmerzmittel, Antirheumatika, Malariamittel, Schilddrüsen­medikamente, Antidiabetika.
  • Ansonsten Bestrahlung, Gifte, Viren.
  • Autoimmunkrankheiten.

 

Symptome:

Die Symptomatik wird zunächst durch den Mangel an Erythrozyten bestimmt und entspricht der einer Anämie. Später fehlen auch Thrombozyten, was zur Blutungsneigung führt und weiterhin Leukozyten mit der Folge einer ausgeprägten Immunschwäche.

 

Therapie:

Ursächlich. Noxen meiden. Medikamente absetzen.

 

Komplikationen:

Tod durch Mangeldurchblutung, Verblutung, Immunschwäche.

 

 

Polyglobulie

Definition:

Erythrozytose.

 

Ursachen:

Vermehrte Bildung von Erythrozyten durch Sauerstoffmangel, Herzfehler, Lungenkrankheiten, Aufenthalt in den Bergen, CO-Vergiftung, Rauchen, Nierentumor

 

Symptome:

Scheinbar blühend gesundes Aussehen! Die Haut ist stark gerötet oder bläulich-rötlich verfärbt.

 

Therapie:

Ursachen beseitigen sofern sinnvoll, Noxen meiden

 

Komplikationen:

Der Hämatokrit steigt, was zu Durchblutungsstörungen führen kann.

 

Differentialdiagnose:

Labor: 6 bis 8 Millionen Erythrozyten

 

 

 

Polyzythämie

Definition:

Erythrozytose, Leukozytose und Thrombozytose treten gemeinsam auf.

Überschießende Vermehrung aller Blutzellen.

 

Ursachen:

Unbekannt. Es handelt sich um ein eigenständiges Krankheitsbild.

 

Symptome:

Milz- und Lebervergrößerung, vermehrte Harnsäure im Blut, Hypertonie, Pruritus

 

Therapie:

Aderlässe

 

Komplikationen:

Gicht, Thrombosen, Kurzatmigkeit

 

Differentialdiagnose:

Laborbefund

 

Krankheiten der weißen Reihe

 

Leukämie = „Weißblütigkeit“

Dieser Begriff wurde vor 100 Jahren von Virchow geprägt. Gemeint ist damit das vermehrte Auftreten weißer Blutkörperchen.

 

Bei den Leukämien handelt es sich um bösartige Erkrankungen der Leukozytenbildungsorte (Knochenmark) mit quantitativen und qualitativen Veränderungen. Abwehrschwäche ist die Folge, da entartete Leukozyten ihre Aufgaben nicht erfüllen können.

 

Die Ursachen gelten immer noch als unbekannt, obgleich Leukämien deutlich gehäuft in der Nähe einiger Kernkraftwerke auftraten. Chemische Substanzen (Benzol, Zytostatika) und Radioaktivität spielen eine große Rolle. Weiterhin sind genetische Faktoren und Viruserkrankungen zu berücksichtigen.

 

 

Nach klinischem Verlauf werden heute folgende Einteilungen vorgenommen:

  • Akute Leukämie
  • Chronische Leukämie

 

Nach der Abstammung wird eingeteilt nach:

  • Myeloische Leukämie (im Knochenmark entstehend)
  • Lymphatische Leukämie (im lymphatischen Gewebe entstehend)
  • Undifferenzierte Leukämie (Ursprungsort unbekannt)

 

So kommt es zu folgenden Kürzeln:

  • ALL = Akute lymphatische Leukämie
  • AML = Akute myeloische Leukämie
  • AUL = Akute undifferenzierte Leukämie

 

  • CLL = Chronische lymphatische Leukämie
  • CML = Chronische myeloische Leukämie

 

 

Symptome:

Müdigkeit, Leistungsminderung, Infektionen, Gewichtsverlust, Bauchdruck, Lebervergrößerung, Pilzinfektionen, Lymphknotenschwellungen. Nachtschweiß und Fieber, Knochenschmerzen. Anämie durch Verdrängung der roten Blutbildung im Knochenmark.

 

Therapie:

  • Akute Leukämie: rasch und intensiv behandeln, insbesondere bei jungen Menschen
  • Chronische Leukämie: zurückhaltend behandeln, insbesondere bei älteren Menschen

 

 

Komplikationen:

Tod durch banale Infekte. Folgen der Anämie.

 

Differentialdiagnose:

Leukämien können leicht übersehen werden, da die Symptome sehr unspezifisch sind. Neben den hier besprochenen Formen gibt es zahlreiche weitere Leukämien mit teilweise noch verwirrenderen Symptomen. (z. B. Morbus Hodgkin, Non-Hodgkin, Lymphom)

 

 

 

 

Agranulozytose

Definition:

Plötzliche oder allmähliche Abnahme der Granulozyten = Granulozytopenie.

 

Ursachen:

Meist führen Medikamente (Analgetika, Sedativa, Antidiabetika, Diuretika, Goldpräparate, Antibiotika u. a.), zu einer plötzlich auftretenden allergischen Reaktion, die zum Verlust von Blutzellen führt. Im schlimmsten Fall gehen alle Granulozyten unter.

 

Symptome:

Schüttelfrost, Fieber, Schwerkrank, Nekrosen

 

Differentialdiagnose:

Labor: weniger als 2000 Leukozyten sind beweisend für eine Agranulozytose.