Sinnesorgane
Der Mensch ist ein Generalist. Er beherrscht vieles recht gut, doch kaum etwas in Perfektion. Mit einer Ausnahme: dem Denken. Zwar verfügt der Mensch über eine Vielzahl von Sinnes-Rezeptoren, doch im Vergleich zu Tieren ist er weniger spezialisiert. So übertrifft ihn der Adler beim Sehen, die Fledermaus bei der Echoortung mit den Ohren und der Hund mit dem Geruchssinn.
Alle Sinnesreize werden durch Rezeptoren in der Peripherie erfasst, bevor sie im Zentralen Nervensystem verarbeitet und registriert werden. Alle Rezeptoren, auch Sensoren genannt, reagieren jeweils auf die Reize, für die sie ausgelegt sind.
Sieben Sinne
Die fünf klassischen Sinneswahrnehmungen Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Fühlen wurden im antiken Griechenland von Aristoteles systematisiert. Im 19. Jahrhundert wurden sie um den Gleichgewichtssinn und den Tiefensinn[1] erweitert.
Sinneswahrnehmungen und Organe |
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Sehen |
Augen |
Hören |
Ohren |
Gleichgewichtssinn |
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Riechen |
Nase |
Schmecken |
Zunge |
Fühlen & Tasten |
Haut |
Tiefensinn |
Propriozeptoren |
Hinzu kommen gemischte Wahrnehmungen über Körperzustände wie Hunger, Sättigung, Puls, Herzschlag, Gewicht, Temperatur, Schmerz und Körperschema. Letzteres ist die kontinuierliche Eigenwahrnehmung von Körperposition und Körperbewegung im Raum. Weiterhin werden im Körperinneren beständig physikalische und chemische Reize ermittelt. Dazu gehören Blutdruck, Dehnung, Temperatur und pH-Wert.
Sinnesreize werden zunächst von spezialisierten Sinneszellen aufgenommen und dort in elektrische Reize umgewandelt. Dann werden diese Impulse an darauffolgende Sinneszellen und anschließende Nervenzellen weitergeleitet.
Sinneszellen
Primäre Sinneszelle |
Empfängt den auslösenden Impuls, wandelt ihn in ein elektrisches Signal um und leitet dies über Synapsen zur darauffolgenden sekundären Sinneszelle. |
Sekundäre Sinneszelle |
Nimmt den elektrischen Reiz auf und leitet ihn wiederum über Synapsen an das Nervensystem weiter. |
Sobald in der Primären Sinneszelle eine Wahrnehmungsschwelle überschritten wird, kommt es zur Erzeugung eines elektrischen Reizes, der über Synapsen an Nervensystem und Gehirn weitergeleitet wird.
Primäre Sinneszellen und ihre sensorische Spezialisierung |
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Zapfen und Stäbchen |
Detektieren Photonen in den Augen |
Haarsinneszellen = Stereozilien |
Detektieren Schallwellen und Lageveränderungen in den Ohren |
Riechepithelien |
Detektieren Pheromone im Nasenrachendach |
Geschmacksknospen |
Detektieren Geschmacksstoffe auf der Zunge |
Mechanorezeptoren |
Detektieren Reize auf und in der Haut |
Spindeln und |
Detektieren Dehnungen in Muskeln, Sehnen, Bändern, Gelenken und Knochen |
Weitere Empfindungen wie Zeitgefühl, Empathie, Erinnerung, Interpretation und Traumerlebnis werden der Gehirnarbeit zugeschrieben und gelten nicht als Sinne gemäß der klassischen medizinischen Terminologie.
Augen und Sehen
Die Farbwahrnehmung variiert mit den Lichtverhältnissen. Durch die neuronale Farbkonstanz ordnet das Gehirn Farben weitgehend stabil ein. Dies gelingt bei direkter Sonneneinstrahlung ebenso wie bei künstlichem Licht oder in der Dämmerung.
- Farben werden unterschiedlich wahrgenommen. Dennoch können Farbkombinationen kollektiv als angenehm oder unangenehm empfunden werden.
- Newton erkannte, dass Licht unsichtbar ist. Erst der Gegenstand, auf dem es reflektiert, lässt es erscheinen.[2]
Bestandteile des Sehapparats
- Augapfel mit Linse und Glaskörper
- Sehnerv mit seinen das Licht wahrnehmenden Rezeptoren Zapfen für das Farbensehen rot-grün-blau und Stäbchen für das hell-dunkel-Sehen
- Lichtempfindliche Ganglien, die Reize aufnehmen und an den Hypothalamus weiterleiten. Auch bei Blinden bleibt diese Funktion erhalten
- Augenlider, Tränenapparat und Augenmuskulatur zum Schutz und zur Ausrichtung des Auges
Das Auge ist mit Abstand das erstaunlichste Sinnesorgan. Es kann Photonen, die mit Lichtgeschwindigkeit reisen, in elektromagnetische Strahlung übertragen.
Damit auf der Netzhaut ein Bild erzeugt werden kann, werden die in das Auge eintreffenden Lichtstrahlen zunächst durch den optischen Apparat vorbereitet.
Nur ein sehr kleiner Teil der elektromagnetischen Wellen bildet die sichtbaren Spektralfarben Blau, Rot und Gelb. Alle übrigen Wellen sind unsichtbar.[3]
Der Weg des Lichts durch das Auge
- Hornhaut
- Augenkammer mit Pupille
- Linse
- Glaskörper
- Netzhaut (Retina) mit Rezeptoren
Scharfes Sehen
Das ins Auge einfallende Licht wird mehrfach gebrochen. Linse und Pupille verändern durch Akkommodation die Lichtbrechung, Hornhaut und Glaskörper brechen es ebenfalls.
Netzhaut = Retina
Auf der Retina befinden sich die Fotorezeptoren Zapfen und Stäbchen. Drei verschiedene Zapfen-Typen werden durch farbiges Licht stimuliert, während Stäbchen die Hell-Dunkel-Wahrnehmung ermöglichen. Ein Pigmentepithel ermöglicht die Adaption des Auges an helle und dunkle Lichtverhältnisse.
Am Blinden Fleck treten die Nerven aus dem hinteren Augenpol heraus. Hier sind keine Fotorezeptoren. Am Gelben Fleck ist die Zapfen-Konzentration besonders hoch, weshalb hier besonders gut gesehen wird.
Die Netzhaut leitet ihre Lichtreize als elektrische Impulse an den Sehnerv (II. Hirnnerv) weiter. Von dort werden sie auf die Sehrinde im Gehirn übertragen.
Augenlider und Tränenapparat
Mit Hilfe der Augenlider wird das Auge mechanisch geschützt und kann sich vor Lichteinfall schützen. Die ständige Befeuchtung der Augen wird mit Tränenflüssigkeit gewährleistet, welche in den Tränendrüsen produziert wird.
Ableitende Tränenwege leiten die Flüssigkeit in Richtung Nasenraum ab. Sind diese verstopft oder kommt es zu erhöhtem Anfall von Tränenflüssigkeit beim Weinen, laufen die Tränen aus den Augen heraus.
Ohren und Hören sowie Gleichgewicht
In den Ohren befinden sich zwei Sinnesorgane. Diese sind
- das Hörorgan und
- der Gleichgewichtssinn.
Das Hörorgan
Das Ohr gliedert sich in 3 Abschnitte:
- Äußeres Ohr mit Ohrmuschel, Gehörgang und Trommelfell
- Mittelohr mit drei Gehörknöchelchen Hammer, Amboss und Steigbügel sowie Eustachische Röhre zur Belüftung des Ohres
- Innenohr mit Schnecke (Cochlea)
Das Äußere Ohr fängt den Schall wie ein Trichter ein und leitet diesen zum Trommelfell. Dort wird er von den Gehörknöchelchen aufgenommen und durch Hebelwirkung bis zu 22-fach verstärkt an das Innenohr weitergeleitet.
Auch dienen die Gehörknöchelchen als Impedanzwandler, die es ermöglichen, den Luftschall vom äußeren Ohr in Flüssigkeitsschall im Innenohr umzuwandeln.
Im Innenohr wird der Schall durch Reizung von Haarsinneszellen in einen elektrischen Reiz gewandelt und über den VIII. Hirnnerv (Vestibulocochlearis) zum Gehirn geleitet.
Der Gleichgewichtssinn
Der Gleichgewichtssinn ermöglicht die Orientierung und Balance im Raum und bietet, zusammen mit den Augen, die Grundlage für jegliche Koordination der Bewegung.
In drei Bogengängen befinden sich in einer gallertartigen Endolymphe kleine Kalksteinchen, (Otolithen) welche bei Bewegungsänderungen Sinneszellen berühren. Dadurch werden Lageveränderungen ermittelt.
Nur Bewegungsänderungen führen zu Lageveränderungen der Kalksteinchen, so dass ein fliegendes Flugzeug nicht als fliegend wahrgenommen wird, wohl aber sein Start- und Landevorgang.
In den Bogengängen wird die Lage durch Reizung von Sinneszellen in einen elektrischen Reiz gewandelt und ebenfalls über den VIII. Hirnnerv (Vestibulocochlearis) zum auditorischer Kortex geleitet.
Zunge und Schmecken
Die Zunge gehört zu den beweglichsten Muskeln des Menschen. Sie ist mit einem sehr hohen Tast-, Temperatur, Schmerz und Geschmacksempfinden ausgestattet.
Insbesondere Säuglinge und Kleinkinder entdecken und erkennen ihre Welt vorrangig über Mund und Zunge, aber auch Verliebte.
Neben dem Schmecken von Speisen und deren Bewegung zur Vorbereitung des Schluckens wird die Nahrung mit der Zunge untersucht und geprüft.
Sinneszellen für fünf Geschmacksrichtungen sind auf der Zungenoberfläche angeordnet.[4] Geschmacksporen nehmen chemische Reize auf und ordnen diese zu. Daraus resultieren die Geschmacksempfindungen süß, sauer, salzig, bitter und umami.
Umami und Glutamat |
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Der japanische Geschmacksforscher Ikeda entdeckte Anfang des 20. Jahrhunderts eine Geschmacksqualität, die Spargel, Tomaten, Fleisch und reifem Käse gemein ist, welche aber weder als salzig noch als süß, weder als bitter noch als sauer beschrieben werde konnte. Er nannte sie umami.
Sie entspricht dem würzigen Geschmack einer Fleischbrühe, doch auch reife Tomaten besitzen diese Geschmackskomponente.
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Ikeda fand weiterhin heraus, dass diese Geschmackskomponente durch Glutamat ausgelöst wird.
Glutamat ist Bestandteil vieler Nahrungsmittel sowie von Extrakten und Würzsoßen.
Besonders hohe natürliche Glutamat-Konzentrationen befinden sich natürlicherweise in reifen Tomaten, Käse, Fleisch sowie in der Humanmilch. |
Warnung vor Bitterem
Die Bitter-Reizschwelle ist sehr niedrig, da verdorbene Speisen oft einen bitteren Nebengeschmack enthalten. Koffein, Nikotin und Strychnin schmecken bitter. Kinder meiden bitteres, da dies vor Vergiftung schützt. Ab der Pubertät entwickelt sich ein Geschmacksgedächtnis, welches lernt, dass bittere Speisen und Getränke wertvoll sein können.
Die 5.000 Geschmacksknospen der Zunge werden innerhalb von zwei Wochen erneuert. In einer Geschmacksknospe sind 50 bis 100 Sinneszellen gebündelt.
Der Geschmacksreiz wird über den IX. (Glossopharyngeus), VII. (Facialis) und X. Hirnnerv (Vagus) an das Gehirn weitergeleitet.
Nase und Riechen
Die Nasenschleimhaut dient der Erwärmung, Befeuchtung und Reinigung der Atemluft. Und sie ist Sitz des Geruchsorgans.
Abschnitte der Nase
- Äußere Nase mit Nasenwurzel, Nasenrücken, Nasenspitze und Nasenflügeln. Kräftiger Haarbewuchs im Bereich des Naseneingangs verhindert das Eindringen von größeren Partikeln in die Atemwege.
- Innere Nase mit Nasenscheidewand, Nasenmuscheln und Riechepithel.
Indirekt zur Nase gehören auch die Nebenhöhlen (Sinus).
Nasennebenhöhlen |
Sinus paranasales |
Kieferhöhle |
Sinus maxillaris |
Stirnhöhle |
Sinus frontalis |
Siebbeinlabyrinth |
Sinus ethmoidales |
Keilbeinhöhle |
Sinus sphenoidalis |
Im Nasenrachendach befindet sich das Riechepithel. 30 Millionen Riechzellen auf einem Areal von 2 x 2,5 cm werten die Geschmacksreize aus. Spüldrüsen reinigen anschließend das Epithel, um die Rezeptoren für neue Wahrnehmungen zu sensibilisieren. Innerhalb von 1 bis 2 Monaten werden alle Riechzellen erneuert.
Zwei reservierte Bereiche des Riechepithels nehmen Geruchsstoffe (Pheromone) wahr, welche bei der zwischenmenschlichen Kommunikation eine große Rolle spielen. Dazu gehört auch die Einordnung des Schweißgeruchs von potentiellen Geschlechtspartnern.
Gerüche sind für die persönliche und familiäre Gesundheitskontrolle und den Zusammenhalt von Gemeinschaften von hoher Bedeutung.
Die Reize des Riechepithels werden über den I. Hirnnerv (Olfactorius) zum Riechhirn geleitet.
Über Geschmack kann man nicht streiten?
Kann man schon, aber es ist ein mühsames Unterfangen. Jeder Mensch hat eine individuelle Genkombination für das Geruchsempfinden. Daher werden Gerüche von jedem Menschen anders wahrgenommen.
Hat man einen Schnupfen, ändert sich der Geschmack. Viel mehr, als wir es vermuten, schmecken wir mit der Nase. Schweizer sagen daher auch korrekterweise „schmecken“, wenn der Deutsche „riechen“ meint.
Doch auch die Zahl der Geschmacksknospen auf der Zunge ist unterschiedlich hoch und reicht von 100 Stück pro cm2 bei Nichtschmeckern über 180 Stück pro cm2 bei Normalschmeckern bis zu 425 Knospen pro cm2 bei Superschmeckern. Superschmecker nehmen insbesondere Bitterstoffe und Schärfe intensiver wahr. |
Sinnesorgan Haut und Tiefensinn
Die Haut ist ein sehr komplexes Sinnesorgan. Sie unterscheidet Temperatur, Druck, Dehnung, Vibration sowie Schmerz. Ihre Rezeptoren sind sehr unterschiedlich verteilt; sehr viele an Lippen und Händen, weniger an Rücken und Fußsohlen.
Der Tiefensinn informiert über Lage und Bewegung des Körpers sowie alle Faszien-, Muskel- und Knochenspannungen. Dies ermöglicht, beim Gehen nicht die Füße beobachten zu müssen und beim Aufwachen über die Position des Körpers im Bilde zu sein.
Hautsinne
Die Haut ist ein eigenständiges und großes Sinnesorgan mit zahlreichen Wahrnehmungsmöglichkeiten. Bei der Oberflächensensibilität der Haut werden unterschieden:
- Tastsinn
- Temperatursinn
- Schmerzsinn
Die Sensoren der Haut unterscheiden:
- Berührungen durch Meißner-Körperchen, wobei schwache Eindrücke als Kitzeln wahrgenommen werden
- Drücke von nadelstichklein bis zu großen, flächenhaften Wahrnehmungen wie der Bekleidung
- Vibrationen durch Pacini-Körperchen
- Warm- und Kaltempfinden durch Warm- und Kaltrezeptoren, wobei zwischen 310C und 360C eine neutrale Kalt-Warmempfindung stattfindet. Über 450C entsteht eine schmerzhafte Hitzeempfindung, unter 170C entsteht Kälteschmerz.
Die bedeutendsten und insbesondere ersten Wahrnehmungen eines Babys zur Entdeckung der Welt und ihrer Eigenschaften geht über die Haut. Später entwickeln sich auch die anderen Sinnesorgane und treten in den Vordergrund. Die Hautsinne erscheinen dann weniger wichtig, nehmen aber lebenslang einen großen Teil der unterschwelligen Wahrnehmung ein.
Blinde bemühen sich wesentlich stärker, auf ihre Wahrnehmungen des Tastsinns und der Ohren zu achten als Sehende, die geneigt sind, überwiegend ihren visuellen Empfindungen zu vertrauen. |
Tiefensinn
Der Tiefensinn (Propriozeption) ermöglicht es, Lage, Stellung und Bewegung der Knochen, Muskeln, Gelenke und Faszien ohne visuelle Kontrolle präzise wahrzunehmen. Er bildet eine zentrale Grundlage für Koordination, Gleichgewicht und zielgerichtete Bewegungen.
Manuelle Therapie, Polarity-Therapie, Cranio-Sakral-Therapie und weitere Körpertherapien sprechen den Tiefensinn sehr stark an. Sie ermöglichen die Auflösung von Spannungen und Traumen im Körpergewebe verbunden mit der Sicherheit, sich an einem behüteten Ort zu befinden, an dem Loslassen und Entspannung möglich sind.
[1] Der Tiefensinn wurde zunächst in England als Muskelsinn erkannt. Erst später wurden die Propriozeptoren in Muskeln, Sehnen, Bändern, Gelenken und Knochen erkannt.
[2] Immanuel Kant beschäftigte sich mit dem Ding an sich und seiner Erscheinung. „Das Licht gibt sich nicht dem Auge zu erkennen, sondern wird erst im Zusammenwirken mit dem Gegenstand zur Erfahrung“ (gekürzt).
[3] Die RGB-Farben des der Zäpfchen sind hingegen Rot, Grün und Blau.
[4] Die vier früheren Geschmackszonen der Zunge sind überholt. Knospen für alle 5 Geschmäcker sind über die ganze Zunge verteilt.